Effektiver, schneller, optimaler - Das Kredo unserer Zeit, erzeugt unglaublich viel Druck und ein "nie genug". "Ich muss noch schnell..." ist im Kopf von vielen Menschen. Die Gedanken kreisen ständig um einen optimalen Plan, den Tag zu strukturieren, wobei wir die zeitlichen Anforderungen einer Aufgabe ständig unter- oder überschätzen. Auf beides reagieren viele Menschen mit Frustration, Ärger oder Verwirrung. Noch schlimmer wird es, wenn andere uns warten lassen oder nicht verstehen können, worum es uns gerade geht.
Wir spüren, dass unser eng getakteter Tag gerade aus den Fugen gerät und können doch nichts dagegen tun, weil wir keine Kontrolle darüber haben: der unüberholbare Müllwagen in einer engen Gasse, der Chef, der zum Gespräch zu spät kommt, die Kollegin, die mir die Unterstützung verweigert, das Kind, das lieber spielt als sich für den Kindergarten fertig zu machen, der verspätete Zug und vieles mehr.
Aber was tun und wie damit umgehen? Die Welt wäre um sehr viel friedlicher, harmonischer und konstruktiver, wenn wir die Tugend der Geduld und die Chancen im Warten können wiederentdeckten.
Die alten Griechen hatten 2 Götter: Chronos und Kairos. Chronos steht für Plan, Taktung, Zeitmessung, Ziele in einer bestimmten Zeit zu erreichen. Chronos ist uns sehr vertraut, jeder weiß, was ein Chronometer ist. Aber Kairos? Kairos ist der Zwillingsbruder von Chronos und steht für Gelegenheit beim Schopfe packen, für den Augenblick, für das hier und jetzt. Achtsamkeitskurse, Meditation oder Yoga erfreuen sich großer Beliebtheit. Das ist wunderbar, aber wie das Gelernte in den Alltag integrieren?
Können wir aufkommenden Stress, Gefühle von Ärger und Frustration nutzen lernen, einen Gang zurückschalten und reflektieren: Was erwarte ich gerade von mir oder den anderen, und was gelingt mir gerade nicht? Wie nutze ich gerade diese Chance? Wie mache ich etwas Gutes aus dem, was ich sowieso nicht ändern kann?
Bitte warten - es gehört zum Leben, mit unvorhersehbaren Wartezeiten liebevoll umgehen. Eine Klientin liebt es zu stricken, sie hat ihr Strickzeug immer dabei. Ein Klient nutzt jedes Warten, um die Umgebung bewusst wahrnehmen zu können. Daraus ergeben sich manchmal wunderbare Ruhepausen - Kreativität ist gefragt.
Ein zweiter Punkt ist die Tugend der Geduld wieder zu entdecken. Wenn wir Ärger, Frustration oder Angst spüren, wollen wir die schnelle Lösung. Wir haben verlernt nach innen zu spüren, uns selbst gegenüber Geduld aufzubringen, uns selbst Fragen zu stellen, wie etwa: Was löst gerade diese sehr unangenehme Situation aus? Was möchte ich gerade wirklich? Brauche ich das, oder kann ich auch loslassen? Was ist in meiner Kontrolle, was nicht? Diese Fragen erfordern einen Schritt zurück zu steigen, sich Zeit zu geben und erst danach zu handeln.
Hand in Hand mit einer geduldigen Haltung sich selbst gegenüber, geht eine Haltung der Geduld anderen gegenüber. Andere verhalten sich selten so, wie wir es in einer bestimmten Situation tun würden, weil sie eben anders sind. Können wir unseren Mitmenschen auch dann Wohlwollen entgegenbringen, wenn sie gerade ein Verhalten zeigen, das unseren Wünschen widerspricht? Können wir auch dabei einen Schritt zurücktreten, zuerst zuhören, bevor wir gehört werden? Erst wenn wir die Welten nebeneinanderstellen können, werden konstruktive Verhandlungen möglich. Das braucht Geduld und eine subjektive Wahrnehmung von Verlangsamung.
Lothar Seifert hat ein Buch mit dem Titel "Wenn du es eilig hast, gehe langsam" geschrieben. Dieser Titel beschreibt sehr schön, wie aus geduldigem Nachfragen, sehr effektiv bessere und kreativere Lösungen entstehen können.
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